Es gibt ohne Zweifel vieles, das man als eine Geißel der Menschheit bezeichnen kann. Religion, HIV, Vera Int-Veen…
Ganz sicher trifft dies aber auf eines zu: Mode.
Was um alles in der Welt bewegt nur Menschen dazu, etwas ohne praktischen oder ästhetischen Nutzen besitzen und dann auch noch stolz herumtragen zu wollen nur weil irgendjemand behauptet, das wäre jetzt „in“?
In der Wikipedia ist dazu vom „gerade vorherrschenden Geschmack“ die Rede. Dabei sollte man annehmen, Geschmack wäre zutiefst individuell und daher weder übertrag- noch normierbar.
Die Auswüchse dieses Phänomens sind überall anzutreffen. So kauft der beruflich erfolgreiche Mitteleuropäer derzeit ein weiß lackiertes Auto. Etwas, das zuvor für rund dreißig Jahre als sicherer Beweis vollständiger Kulturlosigkeit angesehen worden wäre.
Die Mode bestimmt, dass ein junger Mann im Alter zwischen 17 und 27 heute besonders in der warmen Jahreshälfte und innerhalb von Gebäuden eine Strickmütze tragen muss um cool auszusehen. Bevorzugte Farbe: Pferdedecke. Auf keinen Fall mit Bömmel. Zur Not tut’s auch eine Socke, die mit Opa bereits zu Fuß in Russland war.
Typisch für einen Modetrend ist seine Vergänglichkeit. Umso mehr verwundert es, dass man sich inzwischen für Trends begeistert, die besonders dauerhaft angelegt sind und deren zwangsläufig irgendwann erforderlicher Rückbau erhebliche Schmerzen erwarten lässt: Die Modifikation des eigenen Körpers.
So lässt man sich heute gern schmuddelig blasse Farben (deren toxische Wirkungen niemand hinterfragt) unter die Epidermis pumpen. Die so erzeugten Bilder haben sich mit der Mode deutlich gewandelt. Von kultischen Ornamenten über Anker und Pin-ups zu Delfinen, Schmetterlingen, Totenköpfen oder wilden Schnörkeln. Letztere finden sich bekanntlich bevorzugt über dem Steiß, hierzulande als Arschgeweih oder Schlampenstempel bezeichnet.
Ohne Zweifel ist die Tattoo-Entfernung eine Branche mit goldener Zukunft.
Doch das Spektrum der Modifikationen ist ja noch weit größer:
Da werden Plastikteile chirurgisch eingebracht (nein, Silikon ist kein Naturprodukt – die Ausgangsstoffe sind Silizium und Chlormethan), es werden Stahlknochen und –ringe durch gesundes Gewebe genagelt, Nervengifte in die Stirn und Plexiglasteilchen in die Lippen gespritzt. Weibliche Beschneidungen nehmen stark zu – nur diesmal nicht in Afrika und nicht aufgrund archaischer Dogmen sondern in der westlichen Welt, um einem „Ideal“ nachzueifern, dass auf Zensurbestimmungen und damit verbundenen Photoshop-Retuschen basiert.
Diese Dinge erinnern den zynischen Betrachter an die Kfz-Tuning-Welle der 80er Jahre. Mit einem Unterschied: Spoiler, Breitreifen oder den Fuchsschwanz an der Antenne konnte man gefahrlos wieder entfernen, als der Modetrend vorbei war.
Doch zurück zur Bekleidung:
Vor wenigen Jahren warb der Marktführer von Jeans in Fernsehspots für sein neues Beinkleid, welches völlig verdreht und unförmig geschnitten und auch genauso zusammen getackert war. Und die Lemminge haben es gekauft.
Ich könnte mich jetzt auch lang und breit über die Baggy Pants (vermutlich funktioniert Mode heute nur mit dem richtigen Fachbegriff, denn vermutlich hat kein Hip-Hopper im Laden nach Sackhosen gefragt) auslassen. Angefangen hatte alles mit diesem Herrn, doch dieses Thema verschwindet bereits nach und nach aus dem Stadtbild. Gut so.
Nebenbei bemerkt, was hat es nur mit dieser Unsitte auf sich, Jeans und ähnliche Gewebe mit ausgewaschenen Flecken an Knien und Hintern zu versehen? Soll der Eindruck vermittelt werden, der Träger rutsche in Kleinkind-Manier ganztägig auf dem Fußboden herum? Seltsam…
Nein, der eigentliche Anlass für diesen Text sind die Folgen des Low-rise Trends, der Hüfthose.
Es ist ja nett, wenn ein Modeschöpfer sich entschließt, mal etwas Neues zu zeigen und damit das Angebot zu ergänzen. Muss das zur Folge haben, dass alle anderen Hersteller sofort ihre gesamte Produktpalette analog umschneidern?
Eine Hose mit niedrigem Bund kann an einer jungen Frau mit schmalen Proportionen sehr attraktiv aussehen. Gut. Natürlich möchten auch Frauen mit doppelt so breitem Gesäß attraktiv sein. Gerne, doch dafür eignen sich andere Schnitte!
Knickt der Körper bei Bewegung in der Mitte nach vorn, hat die Hüfthose die Angewohnheit in ihrer ursprünglichen Position zu verharren und verlegt so nicht nur das Arschgeweih, sondern auch allzu oft den String Tanga aus rotem Polyester oder ästhetisch eher unerfreuliche Körperzonen ins Freie.
Doch was treibt den Konfektionsfabrikanten dazu, diesen Trend auch noch in die Herrenmode zu tragen? Gut, hier könnte man natürlich ganz platt mit dem Klischee vom eher gleichgeschlechtlich ausgerichteten Modeschöpfer kommen, der beim Anblick dessen, was man „Bauarbeiter-Dekolletee“ nennt in Verzückung gerät. Das kann jedoch nicht für alle Entscheider dieser Branche zutreffen.
Die Folgen sind fatal:
Auch nach stundenlangem Einkaufsbummel gelingt es nicht, auch nur eine einzige Hose, ob Jeans, Chino oder Schurwolle zu finden, die „richtig“ sitzt, d.h. deren Bund bis zur Oberkante des Hüftknochens reicht. Und das trifft auch auf Hosen aus Anzügen zu.
Sie alle haben nun wie bei den Damen die Eigenschaft, bei Bewegung die Idealposition zu verlassen und folgen damit einem der einfachsten physikalischen Prinzipien.
Nehmen wir ein Beispiel:
Wir möchten ein Tuch um einen kugelförmigen Körper hängen. Jeder weiß: Die Oberkante muss im Durchmesser kleiner sein, als der Durchmesser der Kugel und oberhalb ihres Mittelpunktes angeordnet sein, sonst genügt die kleinste Verschiebung und die Kugel liegt komplett frei.
Bei Herrenhosen heißt das nicht zwangsläufig, dass sie dauernd bis zu den Schuhen rutschen. Aber es führt dazu, dass jedes Hemd hinten aus der Hose klettert, sobald man sich mehrfach hintereinander gesetzt hat und wieder aufgestanden ist. Des Weiteren muss der männliche Hosenträger heute auch immer häufiger vorn in den Hosenbund greifen, um das darin befindliche Zeug zu sortieren und wieder in die korrekte Lage zu verschieben, denn auch die Unterwäsche wurde vom Phänomen Bundflucht nicht verschont und sitzt daher allzu oft unterhalb des Hüft-Äquators.
Man ist inzwischen für jeden Individualisten dankbar, der das Gesellschaftsbild auflockert, ganz gleich ob Anhänger eines 1-Mann-Trends, Anachronist oder einfach Modeverweigerer. Regt sich jemand auf über frisch aus Osteuropa eingewanderte Damen, die mutig grün und orange kombinieren oder weiß mit Signalpink zur blondierten Mähne tragen? Mich stört‘s nicht.
Freaks werden mir immer sympathischer. (sagt jemand, der seit über 30 Jahren Cowboystiefel trägt)
mh 02.06.2012