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Der Mensch kam irgendwann vor ein paar tausend Jahren auf die glorreiche Idee, das Geld zu erfinden. Eigentlich gar nicht so doof, denn beim bis dahin vorherrschenden Tauschhandel tun sich mitunter logistische Probleme auf. Wenn ich Kühe züchte, aber einen Beutel Reis kaufen möchte, kann ich schwerlich mit einer Handvoll Kuh bezahlen oder ich müsste gleich einen ganzen Klafter Reis in meine Höhle schleppen. Das Problem war also zusätzlich eines der Wertzumessung. Hätte der Reisbauer für eine Handvoll seiner Ware eine ganze Kuh gefordert, wäre er vermutlich auf seinen Bröseln sitzengeblieben.

Das Geld also sollte diese Probleme lösen. Es ist selbst eigentlich nichts wert (jetzt mal abgesehen von Zeiten, in denen es in Gold oder Silber geschlagen wurde und so an dessen Wert gekoppelt war). Es ist Fiatgeld ohne intrinsischen Wert. Ich glaube, dass ich für mein Geld so viel bekomme, wie der Herausgeber des Geldes verspricht. Ich vertraue auf einen fiktiven Wert. Und da Geld beliebig stapelbar oder auch teilbar ist, sollte man annehmen, dass damit die Wertzuordnung der Produkte einfacher und auch stabiler werden könnte.

Lange Zeit hat das tatsächlich funktioniert. Abgesehen von Wechselkursschwankungen, Inflation oder dramatischen äußeren Einflüssen wie Kriege und damit verbundene Engpässe oder Überschüsse im Warenangebot haben die meisten Waren einen Geld-Wert, den man jahrhundertelang als vertretbar oder auch einigermaßen angemessen bezeichnen könnte.

In den letzten 50 Jahren jedoch läuft dies mehr und mehr aus dem Ruder. Und zwar nicht durch politische Einflussnahme, wie neuerdings viele behaupten, sondern durch einen Fehler im menschlichen Gehirn.
Die Evolution hat offenbar das Prinzip der Verhältnismäßigkeit still und heimlich wegrationalisiert.

Es ist die Neigung des Menschen, neuerdings einer Ware oder einem Produkt absurd hohe Wertvorstellungen zuzumessen, wenn man ihm nur oft genug sagt, es sei eben so.

Menschen kaufen Weinflaschen auf Auktionen für sechsstellige Beträge (und trinken sie dann nicht mal aus).
Menschen kaufen Karpfen für hohe fünfstellige Beträge und setzen sie in den vollklimatisierten Gartenteich.
Menschen kaufen Ölgemälde für neunstellige Beträge und hängen sie dann in einen Tresor.
Menschen kaufen Steaks von japanischen Rindern für 400 Euro das Kilo.
Menschen kaufen drei Jahre fußballerische Dienstleistung für 40 Millionen Euro.
Von Toastbrot mit Marienbild und so will ich gar nicht erst anfangen.

All diese Dinge wären noch vor 50 Jahren undenkbar gewesen.

Im Jahr 1967 zog Wilhelm Bungert als zweiter deutscher Tennisspieler der Wimbledon-Geschichte ins Finale ein. Das Preisgeld hierfür betrug 30 Pfund, damals 300 Mark, in Form eines Gutscheins für ein Sportgeschäft. Als 19 Jahre später Boris Becker seinen zweiten Wimbledon-Titel holte, bekam Ivan Lendl als Unterlegener 105.000 Dollar Preisgeld. 2014 gab es für den Sieger 2,13 Millionen Euro. Als Lohn für sieben gewonnene Spiele, also rund 15 Stunden Einsatz.

Passt das schon so, oder stimmt da etwas nicht?

Bekanntlich treten bei solch einem Grand-Slam Turnier die 128 weltbesten Spieler gegeneinander an.
Das Preisgeld des Siegers ist 15 mal so hoch wie das der 8 Spieler, die im Achtelfinale ausscheiden.
Es ist 65 mal so hoch wie das der 64 Spieler, die in Runde 1 ausscheiden.
Es ist X Fantastilliarden mal so hoch wie das der Spieler, die als Amateure auch vielleicht extrem gut sind, aber nie den Sprung ins unsichere Profigeschäft gewagt oder geschafft haben. Denn die gewinnen höchstens Pokale und Urkunden.

Ist also der Wimbledon-Sieger objektiv betrachtet so viel besser als die anderen? Oder ist es so viel mehr wert, ihn dabei zu haben und deshalb ein solches Preisgeld erforderlich? Ist das Turnier wirklich 1.000 mal so interessant und spannend wie es wäre, wenn anstatt der insgesamt 10 Millionen Dollar für Preisgelder nur 10.000 für Pokale ausgegeben würde?

Ähnlich verhält es sich im ganzen Profisport. Ob die Gehälter oder Preisgelder für Fußballer, Rennfahrer, Golfer, Eishockeyspieler, Basketballer oder Boxer noch in irgendeinem Verhältnis zur tatsächlichen Leistung stehen, insbesondere im Vergleich mit der Leistung der besten Amateure, wage ich doch stark zu bezweifeln.

Macht es den Sport interessanter?
Wenn ich sehe wie langweilig Fußballmeisterschaften werden, wenn immer das Team mit den Multimillionären gewinnt – ist die Antwort „Nein“.
Wenn sich Boxer die Rübe zu Brei kloppen lassen, weil sie sowieso Millionen kriegen für die nur mäßig kluge Idee, gegen einen Tyson oder Klitschko in den Ring zu klettern –  ist die Antwort „Nein“.
Wenn mit universitärem Aufwand gedopt wird weil die Preisgelder und Werbeverträge auch den ganzen Trupp Leibärzte erschwinglich machen – auch hier: „Nein“.

Jetzt mag man einwenden, Dienstleistungen sind nun mal subjektiv zu bewerten, Waren haben schon eher einen reellen Wert.
Quatsch mit Soße!

Nehmen wir obige Beispiele.

Bei Christie’s wurden für eine Flasche 1787er Château Lafite schlappe 160.000 Dollar gezahlt. Bestimmen hier etwa Angebot und Nachfrage den Preis? Klar, denn trinken will die alte Plörre sicher keiner mehr. Man will sie nur haben! Gibt’s ja nicht so oft.
Komisch aber, dass man für eine Balthasar-Flasche Château Margaux von 2009 auch mal eben 143.000 Euro oder für einen Romanée-Conti (0,7l wohlgemerkt) je nach Jahrgang bis zu 50.000 Euro hinlegen muss. Schmeckt der dann so viel besser als ein Wein der „nur“ 300 gekostet hat?
Ist wohl eher eine Glaubensfrage.

Überhaupt haftet Spitzenprodukten und Spitzenpreisen oft etwas Pseudoreligiöses an. Wer sich mal zum Thema High-End-HiFi mit den selbsternannten Experten unterhält, weiß schnell was ich meine. Da müssen die Boxenkabel dann aus speziell handgeklöppelten Silberfäden bestehen und 400 Ocken pro Meter kosten, sonst klingt das ja bekanntlich Scheiße. Sicher doch…

Wenn ich 140 Millionen Dollar für Kunst ausgeben will, ist es dann klug, ein Werk von Pollock mit dem vielsagenden Titel „No.5 1948“ zu erwerben, über dessen ästhetischen Wert man ohnehin trefflich streiten kann? Oder sollte ich dann lieber 13.000 Bilder von weniger bekannten aber trotzdem talentierten Künstlern für je 10.000 Dollar kaufen und mir für die restlichen 10 Mios ein schmuckes Museum drumrumbauen? Vielleicht hätt ich ja mehr davon, auch als Wertanlage. Die 13.000 Künstler hätten ganz sicher mehr davon.

Ich wundere mich immer, dass die Käufer solcher Dinge nicht allesamt nachts darauf in ihren moralischen Dilemmata elend ersaufen.

Im Jahr 2000 lehnte die schwedische Combo ABBA das Angebot eines amerikanisch-britischen Konsortiums ab, für den lächerlichen Betrag von US$ 1.000.000.000 (in Worten: eine Milliarde Dollar) noch einmal auf eine Konzerttournee zu gehen. Auch wenn man schon mehrere davon auf dem Sparbuch hat… What the fuck! Wie kann man sowas ablehnen, ohne kurz darauf in die Klapse zu müssen? Ach ja, sie wollten durch möglicherweise schwache Auftritte ihren Nimbus nicht beschädigen. Verstehe.
Für eine Milliarde hätten sie nach der Tour mal eben 200 Krankenhäuser in Bangladesch oder 5.000 Schulen in Afrika bauen können. DAS hätte ihnen einen Nimbus verpasst, der sich gewaschen hat.

Als alter Sozialromantiker bilde ich mir ein, dass doch jeder Wohlhabende, der eine Spitzeninvestition zu tätigen sich anschickt, einfach nur mal kurz in sich gehen und dann überlegen könnte, ob es das wirklich wert ist. Und danach zwar immer noch dieselbe Summe ausgibt, aber sinnvoller.
Der sich dann statt des Koi-Karpfens ein paar schöne Guppys ins Aquarium packt und die übrigen 30.000 Euro an den WWF schickt (nein, nicht an die World Wrestling Federation).
Der sich statt des Filetsteaks vom Wagyū-Rind ein leckeres Wiener Schnitzel bestellt, und die übrigen 100 Euro bei der nächsten Tafel abgibt.
Der statt des Stürmerstars aus São Paulo drei oder vier junge Talente aus den dortigen Favelas verpflichtet und die restlichen 20 Milliönchen ganz bescheiden und diskret an Cap Anamur überweist.
Muss ich wirklich dieses Hermès-Tüchlein haben oder fühle ich mich besser, wenn ich es in Form von kleinen Scheinchen an die Leute verteile, die draußen vor dem Eingang der Boutiquen auf dem Pflaster sitzen?

„Träum weiter!“

Ja, mach‘ ich…

icon03mh 18.01.2015